„Long time no see.“, sagt Jessy meine Tandempartnerin aus dem ersten Semester zu mir am Abend in der Bibliothek. „好就不见!“, sage ich. Wir haben uns wirklich schon sehr lange nicht mehr gesehen, dabei war sie eine so geduldige Lehrerin. Wir trafen uns jeden Donnerstag nach meiner letzten Vorlesung und vor der Chorprobe. Dabei kam ich mir immer so ungeheuer Deutsch vor. „Hast du nächste Woche wieder um die gleiche Zeit frei?“, fragte ich Jessy am Ende jeder Stunde und meinte damit eigentlich:
„Ich habe leider nur genau um diese Zeit frei, ist das ok?“ Sie lächelte jedes Mal und sagte: „Ja klar. Gleiche Zeit!“
Die Chinesen Hütte
Beim interkulturellen Workshop des Studentenwerkes Freiburg auf einer Hütte im Schauinsland, welche ich liebevoll meine „Chinesen Hütte“ nenne, habe ich gelernt, dass man sich in China spontan verabredet und auch spontan absagt. Wenn man keine Zeit hat, dann hat ein anderer Zeit. Dieses System ist für uns Deutsche vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber es scheint zu funktionieren. Mein durchgeplanter Tagesablauf kam mir da ganz schön kleinkariert und unflexibel vor.
Hier die Beschreibung des Workshops auf Chinesisch (geschrieben von Yani Guo)
11月14日到11月16日的周末对于我们五十个人来说,有着特殊的意义。在Schauinsland的Uni Haus里面,中国学生同欧洲学生聚集在一起,共同度过了充实而愉快的两天。
本次冬令营活动诣在促进欧洲学生与中国学生之间的相互了解。为此,我们安排了各类互动游戏,Workshop,黑森林小屋之旅,茶艺表演等丰富的活动。中德文化相互碰撞,让寒冷的冬天也温情四溢起来。
(Foto: Wenxin Hu)
Typisch Deutsch- Typisch Chinesisch
Während der Vorträge, Spiele, einer regnerischen Wanderung durch den Schwarzwald und dem gemeinsamen Essen, lernte ich noch so manch andere „typisch“ chinesisch und typisch deutsche Eigenheiten kennen. Wenn sich Deutsche die Nase putzen gruselt es Chinesen und Deutsche schüttelt es, wenn jemand einfach so auf den Boden spuckt. Das ist nur eines von vielen Beispielen, die ich hautnah erleben darf nächstes Jahr!
Jetzt funktioniert der Wein
Nach einem Gläschen Rotwein, sagte eine chinesische Studentin am Abend wie ein Honigpferd grinsend zu mir: „Jori. jetzt funktioniert der Wein.“ und ich musste lachen. „Du meinst der Wein wirkt?“ „Ja genau. Jetzt wirkt der Wein.“ Es war nur eine von vielen Begegnungen, die man sonst im Alltag selten macht und ich war glücklich so viele nette Menschen kennen lernen zu dürfen.
(Foto: Wenxin Hu)
Alle Achtung
Dieses Wochenende hat mir gerade während den Anfangsschwierigkeiten im ersten Semester viel Motivation gegeben und ich war ziemlich begeistert und schwer beeindruckt, als ich eine deutsche Studentin fließend Chinesisch sprechen sah. Mir war klar, dass es ein weiter Weg ist, bis auch ich munter drauf los plappern kann, aber wenigstens schien mir mein Plan Chinesisch zu lernen nach diesem Wochenende ein bisschen machbarer.
(Foto: Wenxin Hu)
Schietwetter
„Was für ein Wetter.“ und „Die spinnen die Deutschen.“, müssen ein paar Chinesen gedacht haben als wir uns Wind und Wetter trotzend am Ende des Workshops gemeinsam zum Bus aufmachten.
(Foto: Wenxin Hu)
Zurück in der Bibliothek
„Hast du gut Chinesisch gelernt?“, fragt Jessy mich und mir wird schlagartig bewusst, dass zwar ein Jahr vergangen ist und ich wirklich viel gelernt habe, aber trotzdem kann mein müder Kopf an diesem Abend nicht auf Chinesisch umschalten. Ich kann noch nicht frei reden und das ärgert mich kolossal. Lesen und Verstehen kann ich Chinesisch um Welten besser als noch vor einem Jahr. Beim Schreiben tue ich mich noch immer schwer, auch wenn meine Schrift durch die Übung mittlerweile viel schöner geworden ist und ich mich mit Hilfe eines Wörterbuches verständlich ausdrücken kann. Sprechen jedoch ist momentan die größte Herausforderung.
Meine chinesische Stimme
Ich frage mich manchmal wie meine chinesische Stimme sein wird, denn in jeder Sprache habe ich bis jetzt eine andere Stimme bekommen, zumindest fühlt sich das so an. Meine Französische Stimme hört sich tief an und trotzdem hat sie diesen typisch französischen Singsang. Außerdem habe ich mir Französisch hauptsächlich bei den französischen Schülern in meiner Klasse abgehört als ich in Frankreich gelebt habe. Dementsprechend rede ich meistens in der Umgangssprache und verneine zum Beispiel nicht mehr ordentlich. Meine Dänische Stimme ist ziemlich hoch und mir wurde gesagt, dass ich mich ab und zu anhöre wie jemand aus dem Fernsehen. Das kann gut sein, denn ich habe Dänisch fast ausschließlich mit Fernsehserien und Podcasts gelernt und war nur sehr kurz in Dänemark.
Wie wird das also sein nächstes Jahr, wenn ich in China meine chinesische Stimme gefunden habe und rede als gäbe es kein Morgen mehr? Ich werde es herausfinden, denn das was ich momentan im Stande bin zu sagen zählt für mich nicht. Es ist noch sehr viel Platz nach oben.
Fortschritt(e)
Es macht unheimlich Spaß zum Beispiel die chinesische Beschreibung des Workshops zu lesen und in groben Zügen zu verstehen um was es sich handelt. Oder in der Lage zu sein völlig fremde Zeichen nachzuschlagen und sie dann zusammenhängend zu übersetzen. Wenn ich jetzt die Serie „One and a half summer 一又二分之一的夏天“ sehe, welche ich zuletzt im August angeschaut habe und mich nur auf die chinesischen Untertitel konzentriere, verstehe ich mittlerweile den Großteil und das freut mich sehr!
One And A Half Summer
Natürlich habe ich Fortschritte gemacht im vergangenen Jahr und ich bin sehr stolz darauf nicht aufgegeben zu haben, als mir das mit den Fortschritten nicht schnell genug ging und ich dachte so wird das nie was. Es braucht einfach Zeit, viel Zeit. Dann wird alles gut!