Ich mag verrückte Dinge, vor allem wenn sie Bauchentscheidungen sind. Irgendwo in einem verlassenen Dorf mitten in Kambodscha, erreichte mich im März die Mail meiner Chinesisch Lehrerin in der Sie uns freundlich, aber bestimmt bat am diesjährigen Chinese Bridge Wettbewerb teilzunehmen. Ihr beständiges Bemühen uns für diese Sache zu begeistern sollte nicht vergebens sein, denn ich entschied spontan: „Das ist klasse. Ich bin dabei!“ Bereits ein Jahr zuvor, hatte Frau Guo versucht uns zu motivieren, aber ich war mir darüber bewusst, dass mein Chinesisch trotz all der Stunden harter Arbeit noch lange nicht bühnenreif war.
Es sieht alles einfach aus, aber es ist sehr kompliziert!

Selbst nach 3. Semestern Sinologie waren die Vorbereitungen für diesen Auftritt alles andere als einfach. Ich verbrachte Stunde um Stunde um Stunde um Stunde um Stunde (ich kürze das hier ab) mit dem Auswendiglernen meines 4 minütigen Vortrages. Ich liebe es Dinge auswendig zu lernen, denn erst dann kann ich sie für immer in meinem Kopf behalten. Das hat mit der Bürgschaft von Schiller geklappt und mit dem Ödipus Drama von Bodo Wartke.
Manchmal glaube ich das ich ein Elefantengehirn habe, denn ich brauche zwar lange bis ich mir Dinge perfekt merke, dafür bleiben sie mir dann für die nächsten Jahre erhalten. Dieser chinesische Text stellte jedoch eine neue Herausforderung dar und überforderte mich zunächst maßlos, weil es einfach zu viele neue Wörter auf einmal waren. Das Konfuzius Institut Freiburg, insbesondere meine beiden Lehrer halfen mir sehr bei der Vorbereitung! Ohne diese Unterstützung hätte ich es wohl nie so weit gebracht!
谢谢大家!
Meine ersten Vorbereitungen

Schritt für Schritt- Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf
Meine kleinen Fortschritte habe ich in Videos dokumentiert. Es begann mit dem ersten fehlerfreien Satz: „大家好!我叫维若云,自由自在,随风飘扬,所以起了这个中文名字,若云。“, inklusive Lachanfall, weil ich mich nach 20 Wiederholungen des gleichen Satzes nicht mehr ernst nehmen konnte und mir der Wahnsinn dieses Vorhabens bewusst wurde. Wenn ich für einen einzigen Satz eine Stunde brauchte, wie sollte das jemals in der kurzen Zeit mit dem gesamten Text klappen? Und es endete ein paar Wochen später mit dem fehlerfreien und flüssigen Vortrag, der mit einem freudigen „Wuhuuu!!!“ endete, weil ich nicht glauben konnte, dass all diese Wortkombinationen und das große, chinesische Puzzle des Textes in meinem Kopf nun endlich zusammengefügt war.
Hinter den Kulissen

Ich hatte sehr viel Spaß beim Üben und alle kleinen Patzer sind herrlich, denn im Nachhinein zeigt es mir wie sehr ich mich verbessert habe innerhalb weniger Wochen. Dennoch gab es auch Momente in denen mir mein Vorhaben durch und durch verrückt vorkam und mich beschlich das ungute Gefühl, dass ich mich dieses Mal mit diesem wahnwitzigen Unterfangen etwas übernommen hatte.
Unter Gleichgesinnten
Die anderen Kandidaten, die ich in Heidelberg kennenlernen durfte, hatten ohne Frage auch sehr viel Herzblut in diese Sache gesteckt. Ich fühlte mich jedoch im Vergleich zu den anderen wie eine Anfängerin, im Prinzip bin ich das auch, denn ich war als eine der wenigen noch nie in China gewesen. Ich kann tatsächlich noch keine Unterhaltung führen und war dafür umso beeindruckter, dass der Großteil der anderen Teilnehmer das offensichtlich konnte. Mein Auftritt kam mir ein bisschen vor wie ein großer Bluff, denn ich gab vor fließend Chinesisch zu sprechen. Davon bin ich jedoch noch weit entfernt. Nach zwei Semestern in China werde auch ich wie ein Wasserfall sprechen, das habe ich mir fest vorgenommen.
Wenige Tage vor Beginn des großen Wettbewerbes wurde mir gesagt, dass mein Text 3 Minuten nicht überschreiten darf. Ich musste wohl oder übel einige mühsam erlernten Sätze streichen, denn ich hatte Angst dass man mich mitten im Text unterbrechen würde. Es war gar nicht so einfach, den bislang erlernten Text im Kopf zu kürzen und alles gut aneinander zu reihen. Nach einiger Übung lief aber auch das prima!
Letzte Vorbereitungen im Zug und am Bahnhof irgendwo bei Unteroberpusesmuckeln in der Pfalz

Es wird ernst- und es gibt kein Zurück mehr!
Ich hatte die Startnummer 14 gezogen und somit genügend Zeit um mich den ganzen Tag lang verrückt zu machen und den anderen Teilnehmern zu lauschen. Mir fiel auf, dass jeder Kandidat einen etwas längeren Text hatte und die Jury nicht nach exakt 3 Minuten den Redefluss abbrach. Das gab mir zu denken, denn immerhin steckte in jedem meiner Sätze, die ich im Eilverfahren gestrichen hatte, stundenlange Arbeit und außerdem waren genau diese Sätze am sprachlich wertvollsten. Also beschloss ich meinen ursprünglichen Text wieder hervorzukramen und ging ihn im Kopf einige Male durch. Dieses Mal musste ich mich darauf konzentrieren nicht die Kurzfassung abzugeben, sondern wie gewohnt alle Sätze vollständig zu sagen. Der Text ist übrigens die chinesische Fassung von meinem Artikel „Langnasentheater“, welcher auf diesem Blog zu finden ist. Am 21. Mai gegen 14:00 war es dann so weit, hinter der Bühne lief ich auf und ab wie ein Tiger. Atmen, lächeln, atmen. Und los! 加油!加油!加油!
Herzrasen- gesund ist das nicht!
Während meines Auftrittes klopfte mein Herz so stark wie noch nie zuvor und die Adrenalinpumpe lief auf Hochtouren. In meinem Leben war ich schon oft aufgeregt, aber dieses Mal übertraf alles was ich bisher erlebt hatte. Ich konnte meinen Text lediglich fehlerfrei vortragen, weil ich ihn so gut auswendig konnte wie den Text von „Happy Birthday“. Ich bemühte mich möglichst aufrecht in der Mitte der Bühne zu stehen, den Augenkontakt mit der Jury nicht zu scheuen und dabei zu lächeln, denn lächeln ist immer gut! Außerdem wollte ich meine Rollen möglichst gut spielen: Die chinesische Mama, die große Schwester und den kleinen Jungen. Meine Beine zitterten dabei unablässig, doch zum Glück blieb meine Stimme ruhig und gefasst. Es hat Spaß gemacht, ein Sprung ins kalte Wasser, einer der sich doppelt und dreifach gelohnt hat!
Hier geht es zum Video: Chinese Bridge Competition 2016 Jorinde Wiese
Die Teilnehmer des diesjährigen Wettbewerbes

Alle 16 Teilnehmer des Wettbewerbes hatten Talent und waren so unterschiedlich, dass es schwer war sich auf herausragende Kandidaten festzulegen. Ich war begeistert von allen Vorträgen und Darbietungen: Tanz, Klavierspiel, Gesang, Schauspiel, Gedichte, Malerei, Taijiquan, Jonglieren. Es war von allem etwas mit dabei!
Ich hatte das Lied 传奇 vorbereitet und vor lauter Nervosität unterliefen mir ein paar kleine Patzer. Das Lied hatte ich aufgrund des Textes ausgewählt, denn es ist ein sehr berührender Text mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann. Es handelt um das Vermissen und die Liebe.
Hier geht es weiter zum Video Chinese Bridge Competition 2016 Jorinde Wiese
Man hat mich wohl vergessen- Pustekuchen!
Als alle Namen aufgerufen wurden und die anderen Kandidaten einzeln auf die Bühne gebeten wurden, blieb ich verwundert sitzen. Niemand hatte meinen Namen aufgerufen und ich wollte deshalb selbstständig zu den anderen auf die Bühne gehen. Das tat ich jedoch nicht, sondern blieb brav auf meinem Platz sitzen. Ich sagte zu meinem Sitznachbarn: „Ich glaube das ist ein gutes Zeichen, vielleicht sind wir weiter.“ Er antwortete mit einem Schulterzucken, ganz sicher schien er sich nicht zu sein.
Der dritte Platz wurde vergeben, kurz darauf der zweite. Mein Name fiel nicht. Nach einer dramatischen Pause wurde der Sieger genannt: „Fritz…“ Ich klatschte Beifall, denn sein Vortrag sowie seine künstlerische Darbietung war klasse und hatte alle überzeugt. Kurz überlegte ich mir jetzt endlich aufzustehen und zu den anderen zu gehen, denn offensichtlich hatte jemand vergessen meinen Namen zu nennen. Doch da hörte ich die Moderatorin sagen: „Der erste Preis geht an: (tadadada dramatischer Tusch Trommelwirbel) Jorinde Wiese.“
„Wie was hä was wer nochmal, wie bitte?!?!“
Ich konnte es kaum glauben, denn obwohl ich wusste, dass es drei erste Plätze gab hatte ich in all der Aufregung nicht mehr damit gerechnet, dass sie auch tatsächlich allesamt vergeben wurden. Ich taumelte auf die Bühne und mein Herz platzte vor Freude. Plötzlich wurde es ruhig, eine angespannte Stille herrschte im Raum. Es wurden Fotos gemacht, die Urkunden überreicht. Man lächelte in die Kameras, klick klick, Händeschütteln. Ich hielt die Ruhe nicht aus und fing an einen kleinen Freudentanz aufzuführen.
Vor Freude geplatzt – Yiepiejajajayiepieyiepieyeah!!!

Ein Botschafter tanzt – Mal was anderes
Der chinesische Botschafter überreichte mir die Urkunde und machte meinen Freudentanz nach. Als die Fotos endlich vorbei waren ließ ich auf der Bühne, hinter allen Kandidaten stehend meiner Freude freien Lauf. All die Stunden Arbeit hatten sich gelohnt, es hatte geklappt: Das Unmögliche war wahr geworden!
Bei der Preisverleihung – Bitte freundlich lächeln!

Die zitternden Beine und das wild pochende Herz bleiben mein Geheimnis!

Ohne Unterstützung hätte ich das alles niemals geschafft! Ich möchte mich deshalb von Herzen bei all den Menschen bedanken, die mir auf diesem Weg geholfen haben. Dazu gehören:
Frau Guo 郭老师, meine Chinesisch Lehrerin, die mich zur Teilnahme motiviert hat und mit unfassbar viel Leidenschaft Chinesisch unterrichtet. Ohne Sie wäre ich niemals auf die Idee gekommen es überhaupt zu versuchen an diesem Wettbewerb teilzunehmen! 谢谢您!
GE, Jian 戈建老师, mein Tutor vom Konfuzius Institut Freiburg, der sich meinen Text viele Male angehört hat, meine Aussprache unablässig verbessert hat und viel Spaß an der ganzen Sache hatte. Eine großartige Unterstützung! Vielen Dank!
ZOU, Lan 邹岚老师, meine Tutorin vom Konfuzius Institut Freiburg, die mich in wenigen Stunden fit gemacht hat für die gefühlten 1000 Fragen, welche man zur Landeskunde, Sprache und Geschichte Chinas beantworten sollte. Danke!
Xiao Min 肖敏老师, eine Youtuberin, die kostenlosen Chinesisch Unterricht gibt und tolle Videos zum Chinesisch lernen auf Youtube macht. Sie hat mir freundlicherweise meinen Text als Audiodatei aufgenommen und ich war sehr glücklich, dass ich mit ihrer perfekten Aussprache lernen durfte. 多谢多谢!
Meine Eltern 我的父母, die mich wie immer bei allem unterstützen und sich in der Woche vor dem Auftritt, während jeder Wanderung im Pfälzer Wald, meinen Vortrag in der Dauerschleife anhören mussten. Ein besonderer Dank geht an meine Mama, denn sie hat mit mir in aller Ruhe den Liedtext 传奇 auswendig gelernt, obwohl sie kein Wort davon verstanden hat. Außerdem schrieb sie mir kurz vor dem Auftritt: „(…) Du singst so schön, vertrau deiner Stimme!“ Meine Eltern prophezeien mir übrigens eine Karriere als chinesische Schlagersängerin. Danke für alles! Ihr seid die Besten!
Quan Yitong, 全一通老师, 🙂 mein chinesischer Tandempartner, der mich mindestens 20 Mal die gleichen Sätze wiederholen ließ und sich nicht zufrieden gab, bis ich sie einigermaßen fehlerfrei auf die Reihe bekam. Er sagte zu mir: „Du hast den Text mit Bravour gemeistert.“ Danke für deine Hilfe!
Elina Lauterbach, 林那,meine beste Freundin und Herzensschwester, die mir immer wieder Mut gemacht hat. Außerdem hat sie ein neues chinesisches Lieblingswort, nachdem sie meinen Text oft angehört hat: 一个朴实的故事 yīgè pǔshí de gùshì (= eine wahre Geschichte). Danke für alles! Mille bises!
Meine Vermieter und mein Mitbewohner, die mein ständiges und exzessives Gitarrengeklimper ertragen haben und sich nicht ein einziges Mal beschwert haben! 🙂
Die Dankesliste nimmt kein Ende- Dankeschön Schankedön!
Ich bedanke mich auch bei allen Menschen, die nicht an mich glauben, oder die es total bescheuert finden, dass ich Chinesisch lerne und das als Zeitverschwendung betrachten. Das treibt mich noch mehr dazu an es eines Tages (in Zukunft) perfekt zu beherrschen!
Dann bedanke ich mich natürlich bei all meinen anderen chinesischen Tandempartnern, Freunden, Kommilitonen, bei meiner Großmutter und bei allen, die an mich geglaubt haben und mit mir mitgefiebert haben! Vielen Dank auch für die tolle Organisation des Wettbewerbes, der vom Konfuzius Institut in Heidelberg ausgetragen wurde. Danke für die Unterkunft, Verpflegung und alles was diesen Tag besonders gemacht hat!
Zu guter Letzt möchte ich mich bei allen Teilnehmern bedanken, die mitgefiebert haben und mit denen ich gerne mehr Zeit verbracht hätte. Es hat uns trotz aller Unterschiede doch einiges verbunden, insbesondere die Tatsache, dass wir alle Chinesisch lernen.
你们都是最棒了!希望我们再聚会!
Gedankenfetzen anlässlich eines großen Tages
„The limits of my language are the limits of my world.“ Was bleibt?
Fotos auf denen wir lächeln, Urkunden, Preise, Auszeichnungen.
Niemand sieht die 5 Liter Adrenalin, die wir in uns hatten, niemand erinnert sich an klopfende Herzen, zitternde Hände, oder Beine.
Niemand sieht die Stunden Übung, keiner sieht die Fehler, die wir zu Beginn gemacht haben. Keiner sieht die Nachtschicht, keiner die Augenringe. Niemand sieht den Selbstzweifel, der manche fast aufgefressen hat.
Alle standen auf der Bühne und sahen aus, als ob das einfach wäre. Das ist es nicht, das wird es wahrscheinlich nie sein. Aber es hat Spaß gemacht! So verdammt viel Spaß!
Ich habe viel mitgenommen: Musik, Lachen, Erinnerungen und ich hoffe dass irgendetwas bleibt. Seid stolz auf euch! Und das bitte längerfristig! 🙂
Gestern habe ich meine eigene vermeintliche Grenze überschritten. „The limits of my language are the limits of my world.“ There are no limits. Das habe ich immer schon gesagt.
Manchmal habe ich den Glauben daran verloren. Kurzzeitig. Denn Chinesisch ist schwer. Verdammt schwer. Umso schöner ist dieser Schritt nach Vorne!
Mein Herz ist vor Freude geplatzt, deshalb der Freudenschrei und Freudentanz. Der Botschafter hat bei der Übergabe meiner Urkunde mitgetanzt.
So soll es sein. Ein bisschen verrückt, so wie Chinesisch. Eine Schnapsidee.
Die beste Schnapsidee, die ich je hatte.