Packt eure Vulven wieder ein! NÖ!

Ich habe nicht die Absicht diesen Artikel zu löschen. CW Dieser Artikel ist cissexistisch und enthält transfeindliche Formulierungen. Ich wusste es damals nicht besser und möchte es als Zeitdokument eigentlich gerne so stehen lassen. Wenn ihr das anders seht oder Vorschläge habt, dann schreibt mir bitte einen Kommentar! (30.06.2021)

Seit dem Sommer mache ich bei einer Redaktion mit. Die Atmosphäre dort ist super, wir arbeiten in freien Gruppen, haben Zugang zur Technik und produzieren unsere eigenen Beiträge. Meine Idee eine Straßenumfrage bei Studierenden mit dem 3-D Modell der Klitoris zu machen wurde gut aufgenommen. Es gab keine komischen Blicke, keine Witze, sondern ehrliches Interesse und Unterstützung.

Vulva-Bastel-Workshop

Im Dezember wurde ein Bastel Workshop veranstaltet, an dem die Teilnehmer*innen aus Salzteig Vulven basteln konnten. Ich hasse Salzteig, damit habe ich noch nie gerne gebastelt und irgendwie fragte ich mich zu der Zeit, ob es das wirklich braucht: Vulven aus Salzteig basteln! Braucht es denn wirklich so viel Aufmerksamkeit für das weibliche Geschlecht? (Die Antwort ist JA!) Denn was beim Vulva-Bastel-Workshop rauskam, war vor allem das große Unwissen, welches über die Anatomie der Vulva herrscht. Das ist ja auch kein Wunder! Vulven sind so unterrepräsentiert in der Kunst, in Zeichnungen und in der Öffentlichkeit, dass selbst Frauen sich schwer tun sie zu zeichnen, ihre eigene Vulva anzuschauen, geschweige denn wieder zu erkennen. Wie es ist eine Vulva aus Salzteig zu basteln. (ein Artikel von Adele Kopsidis, 18.12.2018, Fudder)

Dieses Fotoprojekt verdeutlicht: Die eigene Vulva zu akzeptieren und schön zu finden ist keine Selbstverständlichkeit, im Gegenteil.

Warum das Ganze?

Warum zur Hölle sollte man eine Vulva zeichnen können?“, mag man sich fragen. Ganz einfach, weil wir alle ein bestimmtes Bild einer Vulva im Kopf haben, welches mit der „Vulva-Wirklichkeit“, wie sie in diesem Video gezeichnet wird von Hilde Atalanta (Gründerin der Vulva Gallery) rein gar nichts zu tun hat.

10 Gründe für die Vulva:

Solange es „normal“ ist, dass das Vulva Schönheitsideal (klein, unscheinbar, glatt, rasiert) nur bei operierten Pornodarstellerinnen gefunden wird, welches die anatomische Form eines 8-jährigen Mädchens hat, solange Intimchirurg*innen fetten Profit mit medizinisch nicht zu rechtfertigenden Operationen im Intimbereich bei Frauen machen und diese Sparte der Schönheitsindustrie boomt, solange eben jene Intimchirurg*innen auch in Deutschland minderjährige Mädchen (mit Einwilligung der Eltern) operieren dürfen, solange wir noch immer von „Schamlippen“ sprechen und nicht das Wort Vulvalippen benutzen, solange sich der sprachliche Unterschied zwischen großen und kleinen Schamlippen hält, obwohl die inneren Vulvalippen in fast 50% aller Fälle größer sind als die äußeren und der Unterschied zwischen groß und klein somit falsch ist, solange die Klitoris eher für ein Pokémon, oder ein Oktopus gehalten wird, als für das primäre weibliche Geschlechtsorgan, solange ebendieses primäre Geschlechtsorgan nicht genauso selbstverständlich wie der Penis, der Uterus und die Eierstöcke in anatomischen Zeichnungen abgebildet ist, solange sich Frauen und Mädchen vor ihrem eigenen Geschlechtsteil schämen und ekeln, solange sich der Mythos und das Wort des sogenannten „Jungfernhäutchen“ hartnäckig in den Köpfen der Menschen hält und für viel Verwirrung, Angst und Terror sorgt, solange Genitalverstümmelung bei 200 Millionen Frauen und Mädchen auf dieser Welt ein riesengroßes Thema, Trauma und Problem ist, solange müssen wir uns wohl damit abfinden, dass Vulven aus Salzteig zu basteln eine gute Aktion ist, die uns (hoffentlich!) zum Nachdenken bringt.

Denn wie wollen wir über all diese Themen reden, wenn wir nicht einmal die Basics der Vulva kennen und wissen wie Frauen „da unten“ aussehen? Wie soll das gehen? (großes FRAGEZEICHEN)

Es gab also einen Tag im Dezember, an dem die Vulven aus Salzteig (in pink, rot und mit Glitzer!) auf einem Regal in der Redaktion lagen und mich ehrlich gesagt mehr an moderne Kunst, als an anatomisch korrekte Vulven erinnerten. Was auch immer man von Vulven aus Salzteig halten mag, sie machen aufmerksam auf die Themen, die wir ansprechen wollen: Weibliche Sexualität, Gleichberechtigung, sexpositive Aufklärung in der Lust und Liebe, freies und kritisches Denken Platz haben.

Tja. Und dann erreicht mich eine Nachricht, die ich in indirekter Rede wiedergeben werde, da keine Interna veröffentlicht werden dürfen. Vielleicht habe ich mir den ganzen Quatsch ja auch nur ausgedacht, jeder darf sich seine eigene Meinung bilden. Mir liegt es jedenfalls fern einzelne Personen durch den Kakao zu ziehen, sondern ich möchte einzig und allein auf die Aussage aufmerksam machen, um die es im weiteren Verlauf des Artikels gehen wird.

Es wurde in der Nachricht gemeldet, dass eine Führung für wichtige Menschen, VIP Spitzen anstehe und bitteschön keine „offending Sachen“ zu sehen sein sollten wie: „Flaschen, Geschirr, Vulvas oder Kaffeeflecken“.

Ich fühlte mich provoziert und irgendwie ging mir der leicht herablassende Ton der Nachricht gehörig auf die Klitoris (meine neue Redewendung, anstatt „es geht mir auf die Eier“ zu sagen). Deshalb schrieb ich ohne lange nachzudenken die Antwort „Habe meine Vulva schon weggeräumt, danke für die Info!“ in den Chat und es taten mir zwei Kolleginnen nach: „Meine ist auch weg.“ „Meine habe ich auch schnell weggepackt.

Nur ein blöder Spruch?

Man darf ja wohl noch Witze machen.“Ja, schon. Darf man, aber wer dumme Sprüche raushaut, muss auch mit der Antwort leben können.“ Wer Flaschen, Geschirr, Vulva(s) und Kaffeeflecken in einem Satz zusammenbringen kann mit der Bezeichnung „offending Sachen“, neudeutsch für beleidigende Dinge, der muss auch mit etwas satirisch angehauchten Gegenwind rechnen. Meinungsfreiheit und so. Wir leben ja nicht in China.

Leute räumt eure Vulvas bitte weg! V.I.P. Penisse kommen zur Visite. Falls ihr eine Klitoris habt, lasst sie am Montag (16:30-18:00) bitte zuhause. Die machen nur Ärger und Krawall! DANKESCHÖN! (Jorinde Wiese)

Meine Vulva ist aufs Regal gehüpft

Die Aufforderung, dass bei der großen Chefvisite keine Vulven rumliegen sollten (was ja sowieso nur an einem einzigen Tag der Fall gewesen war und kein Normalzustand in der Redaktion ist!) brachte meine Ideen erst richtig ins Rollen: „Meine Vulva ist aufs Regal gehüpft. Jetzt kann ich die nicht mehr einfangen!“ Was wäre eigentlich so fatal daran, wenn wichtige Menschen während einer Führung durch die Redaktionsräume Vulven aus Salzteig zu Gesicht bekommen würden? Sollen wir unsere Arbeit etwa verstecken und weiter wie bisher diese Themen klein halten? Sollen wir uns schämen für das was wir machen? Ist es lächerlich? (Die Antwort ist NEIN!)

#FemalePleasure

Es ist nicht lächerlich über Vulven und die weibliche Sexualität zu sprechen, ganz im Gegenteil: Es ist notwendig! Ich finde es übrigens völlig in Ordnung, dass manche Menschen mit dem Thema Scham verbinden, dass sie überfordert sind und sich schwer tun darüber zu reden. Es ging mir ja bis vor kurzem nicht anders. Ich habe jedoch kein Verständnis dafür, dass es Menschen gibt, die dieses Thema nicht ernst nehmen und denken: „Geht mich doch nichts an!“, oder „Diese Spinner beschäftigen sich mit Sexualität. Aus dem Alter bin ich raus!“ Spätestens seit dem Dokumentarfilm #FemalePleasure von Barbara Miller bin ich überzeugt davon, dass es uns ALLE etwas angeht und das wir so viel verbessern können, wenn wir das Thema laut halten.

Viva la vulva!