Witzigkeit kennt kein Pardon

Hoch lebe die (Zensur der) freie(n) Meinung!

Es klingelt: «您好!Nin hao!» (Guten Tag) Die Zensurbehörde aus China. Schon wieder. Wir waren doch erst gestern Tee trinken. Es gefalle ihnen nicht wie sich mein Blog www.jorinde.ch in letzter Zeit entwickle.  Die Worte Vulva, Klitoris und Penis seien nicht vereinbar mit dem Titel «Chinesisch Lernen 学习汉语 xuexi hanyu». Vor allem das Wort «V.I.P. Penisse» im letzten Artikel: «Packt eure Vulven wieder ein. NÖ.» hätte Alarm geschlagen. (Der Artikel wird mit einem Mausklick entfernt. Schwuppdiwupp.)

Ich atme tief ein und erkläre Ihnen die Definition von Ironie und Sarkasmus und was ein Neologismus ist. Sie bleiben standhaft und versichern mir, dass mein Blog nicht der einzige sei, der bald vom Netz genommen wird.

Von der Zensur betroffen ist auch der Postillon, weil dort vor kurzem einen Artikel darüber veröffentlicht wurde, wie Frauen sich bei der Selbstbefriedigung selbst einen Orgasmus vortäuschen: «Studie: Jede dritte Frau täuscht sich beim Masturbieren einen Orgasmus vor» Auch die Heute Show sei betroffen, weil es dort um Schwangerschaftsabbruch und den Paragrafen 219a ging: «Abtreibungsparagraf: „Heute show“ knöpft sich Jens Spahn vor»

Über diese beiden Tabuthemen, so die beiden Herren am Telefon, dürfe nicht geschrieben werden. Wenn das zur Parteispitze vordringe, müssten sie das ausbaden.

Ich versuche diplomatisch zu bleiben und schlage vor einen alten Artikel vom Juni 2016 erneut zu posten mit dem Titel «Nichts» in dem es um nichts und ein gelangweiltes Känguru geht, oder aber den Artikel: «STABIL.» Sie überlegen kurz und sagen dann bestimmt «不可以 bukeyi» (Geht nicht./Lässt sich nichts machen). Ich lege auf, trinke Tee und lese mir die letzten obszönen Artikel meines Blogs noch einmal genüsslich durch, bevor sie gelöscht werden. Verrückt. Was das für Probleme machen kann, wenn man seine Gedanken laut sagt und kritisch reflektiert, was man beobachtet.

Ich denke an ein Interview, das ich kürzlich über die japanische Künstlerin Rokudenashiko gesehen habe. Ihre erste Verhaftung fand statt, weil sie Mangas über die Vulva gezeichnet hatte. In einem Land, in dem Kinderpornografie in Mangas legal ist, die Vulva aber als obszön gilt. Nach ihrer Freilassung hatte sie zwei Möglichkeiten: «Aufhören, oder noch einen draufsetzen.», sagte sie kichernd im Interview. Was wohl passiert, wenn man zwei Unheile künstlerisch miteinander verbindet: Fukushima und die Vulva? Und was wohl passiert, wenn man ein Kajak mit dem 3D Abdruck der eigenen Vulva baut und damit paddeln geht? Die Antwort ist: Ein Gerichtsverfahren vor dem obersten Gerichtshof in Japan, weil es dort den sogenannten Obszönitätsparagrafen noch gibt. (Der übrigens nicht gilt, wenn jährlich das Penis Festival gefeiert wird und auf offener Straße riesige Penisstatuen zelebriert werden und bunte Penis Lollis/ Eis gelutscht werden.)

Rokudenashiko will mit ihrer Arbeit die Vulva raus aus der Schmuddelzone holen und einen offenen Diskurs fördern. Das Thema scheint auch bis nach Deutschland geschwappt zu sein.

Vulva-Bastel-Workshop

Im Dezember wurde in Freiburg zum Beispiel ein Bastel Workshop veranstaltet, an dem die Teilnehmer*innen aus Salzteig Vulven basteln konnten. Ich war zwar interessiert, habe aber eine tiefe Abneigung gegenüber Salzteig, damit habe ich noch nie gerne gebastelt und irgendwie fragte ich mich zu der Zeit, ob es das wirklich braucht: Vulven aus Salzteig basteln! Braucht es denn wirklich so viel Aufmerksamkeit für das weibliche Geschlecht? (Die Antwort ist JA!) Denn was beim Vulva-Bastel-Workshop rauskam, war vor allem das große Unwissen, welches über die Anatomie der Vulva herrscht. Das ist ja auch kein Wunder! Vulven sind so unterrepräsentiert in der Kunst, in Zeichnungen und in der Öffentlichkeit, dass selbst Frauen sich schwer tun sie zu zeichnen, ihre eigene Vulva anzuschauen, geschweige denn wieder zu erkennen. Wie es ist eine Vulva aus Salzteig zu basteln. (ein Artikel von Adele Kopsidis, 18.12.2018, Fudder)

Dieses Fotoprojekt verdeutlicht: Die eigene Vulva zu akzeptieren und schön zu finden ist keine Selbstverständlichkeit, im Gegenteil.

Warum das Ganze?

Warum zur Hölle sollte man eine Vulva zeichnen können?“, mag man sich fragen. Ganz einfach, weil wir alle ein bestimmtes Bild einer Vulva im Kopf haben, welches mit der „Vulva-Wirklichkeit“, wie sie in diesem Video gezeichnet wird von Hilde Atalanta (Gründerin der Vulva Gallery) rein gar nichts zu tun hat.

10 Gründe für die Vulva:

Solange es „normal“ ist, dass das Vulva Schönheitsideal (klein, unscheinbar, glatt, rasiert) nur bei operierten Pornodarstellerinnen gefunden wird, welches die anatomische Form eines 8-jährigen Mädchens hat, solange Intimchirurg*innen fetten Profit mit medizinisch nicht zu rechtfertigenden Operationen im Intimbereich bei Frauen machen und diese Sparte der Schönheitsindustrie boomt, solange eben jene Intimchirurg*innen auch in Deutschland minderjährige Mädchen (mit Einwilligung der Eltern) operieren dürfen, solange wir noch immer von „Schamlippen“ sprechen und nicht das Wort Vulvalippen benutzen, solange sich der sprachliche Unterschied zwischen großen und kleinen Schamlippen hält, obwohl die inneren Vulvalippen in fast 50% aller Fälle größer sind als die äußeren und der Unterschied zwischen groß und klein somit falsch ist, solange die Klitoris eher für ein Pokémon, oder ein Oktopus gehalten wird, als für das primäre weibliche Geschlechtsorgan, solange ebendieses primäre Geschlechtsorgan nicht genauso selbstverständlich wie der Penis, der Uterus und die Eierstöcke in anatomischen Zeichnungen abgebildet ist, solange sich Frauen und Mädchen vor ihrem eigenen Geschlechtsteil schämen und ekeln, solange sich der Mythos und das Wort des sogenannten „Jungfernhäutchen“ hartnäckig in den Köpfen der Menschen hält und für viel Verwirrung, Angst und Terror sorgt, solange Genitalverstümmelung bei 200 Millionen Frauen und Mädchen auf dieser Welt ein riesengroßes Thema, Trauma und Problem ist, solange müssen wir uns wohl damit abfinden, dass Vulven aus Salzteig zu basteln eine gute Aktion ist, die uns (hoffentlich!) zum Nachdenken bringt.

Denn wie wollen wir über all diese Themen reden, wenn wir nicht einmal die Basics der Vulva kennen und wissen wie Frauen „da unten“ aussehen? Wie soll das gehen? (großes FRAGEZEICHEN)

Es tutet. Die Herren haben aufgelegt. Wahrscheinlich hat ihr Zensurpiepgerät beim letzten langen Redeschwall meinerseits den Geist aufgegeben. Zu viel Vulva, zu viel Geschlecht, zu viel Penis. *piep* *pieppiep* *PIEP*

«Halb so wild.», denke ich. Es war vielleicht sowieso an der Zeit die Themen und meinen Fokus zu ändern. Ich interessiere mich ja auch für Blumen und Tiere, ein Naturfreunde Blog, das wäre doch eine spannende Alternative! Und noch während ich diese Idee einer Freundin im Chat mitteile, bekomme ich ein Daumen hoch Smiley der Zensurbehörde auf wechat und die Nachricht «这样就好。Zheyang jiu hao. 你会加油!Ni hui jiayou!» (So ist es gut, mach weiter so!).

Hoch lebe die Zensur!

«Witzigkeit kennt keine Grenzen, Witzigkeit kennt kein Pardon.» Ach Hape, wenn es nur so einfach wäre.

5 Gedanken zu „Witzigkeit kennt kein Pardon

  1. Wenn Mann solche Aufforderungen schreibt und Vulven neben Kaffeeflecken platziert, dann sollte Mann sich nicht wundern, wenn junge Frau zugespitzt antwortet. Wo vor haben die Herren Angst?

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    • Sie haben Angst, dass sich Kaffeetrinken durchsetzt und die chinesische Tee Tradition den Yangze runtergeht. Außerdem ist Kommunikation immer heikel und Selbstzensur die sicherste Methode um großen Ärger zu vermeiden und Fehler rückgängig zu machen. Ich warte noch auf einen Anruf von cctv und ein öffentliches Geständnis meines Fehlers vor Publikum. Nur so bleibt man auf der Parteilinie.

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      • If google translate correctly, it is very funny and irony, with a purpose.

        Take care. Good luck.

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  2. Interesting, CCTV and China censorship authority is warning you and ask you to close your blog? (If google translate correctly). I am really surprise, as I don’t think they will do that.

    Take care.

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  3. Liebe Jorinde, danke für deinen Artikel! Puh! Wir haben noch ganz schön viel zu tun! Aber wie gut das du mutig voranschreitest! Danke für deinen Mut diese Dinge auszusprechen! Das tust du letztendlich für uns alle! Danke! Danke! Und es ist so wichtig! 🔥❤🔥❤🔥

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