„Jungfernhäutchen Rekonstruktionen“ oder: Kohle machen mit der Angst

„Zu lange Schamlippen? Zerrissenes Jungfernhäutchen? Vaginale Verjüngung?“ Wer anfängt danach zu suchen, landet nicht bei Websiten die aufklären, über Körpervielfalt informieren und Mythen abschaffen, sondern bei Ärzt*innen, die mit diesen Ängsten und Mythen Geld machen. Herzlich willkommen in der Intimchirurgie, der wilde Westen der Medizin. Irgendwie darf hier jede*r machen was man will und man braucht dafür nicht einmal einen Facharzt in plastischer Chirurgie. „Ich habe mal was mit Ohren gemacht, jetzt operiere ich halt Vulven.“ Alles ist möglich. Schon 2017 warnen Ärzte vor dem neuen Trend der „Labioplastik“ in Deutschland auch schamlos „Schamlippenkorrektur“ genannt. („Labioplastik: Gynäkologen warnen vor neuem Trend“ 06.02.2017)

Hilde Atalanta hat ihr Kunstprojekt „The Vulva Gallery“ gestartet um ein Zeichen gegen die boomende Intimchirurgie zu setzen. Sie sammelt Geschichten von Frauen, die ihre Vulva malen lassen:

Die Intimchirurgie ist ein boomender Teil der ästhetischen Chirurgie, verkauft und vermarktet wird das alles mit dem Recht auf Selbstbestimmung des Körpers und mit einem Versprechen das sexuelle Empfinden der Frauen zu verbessern. Außen vorgelassen werden die psychischen Probleme der Patientinnen, der unglaubliche Leidensdruck, der durch „Idealbilder“ aus Medien und Pornos entsteht und vor allem die fehlende Garantie auf eine Operation ohne langfristige und irreparable Schäden. Leider steckt verdammt viel Geld dahinter. Mehr dazu in diesem lesenswerten Artikel von Susanne Donner: „Genitalverstümmelung oder Schönheits-Op. Legal beschnitten“

„Weil die ästhetische Praktik erlaubt und die traditionalistische Variante geächtet oder verboten ist, besteht die große Gefahr, dass sich die Genitalverstümmelung unter dem Deckmantel der Ästhetik ausbreitet.“, sagt die Schweizer Soziologin Dina Bader. (Der Tagesspiegel, 04.10.2018)

Ich kritisiere nicht die Frauen, die sich für eine Intim-Operation entscheiden. Ich richte meine Kritik an Ärzt*innen, die Werbung machen und von „zu langen Schamlippen“ sprechen und „Hymenrekonstruktionen“ etc. Jeder Mensch hat ein Recht auf Aufklärung vor einer Operation und die Intimchirurg*innen haben kein Interesse über Körpervielfalt, über Variationen der vaginalen Korona, oder über Vulvalippen sexpositiv aufzuklären. Das macht mich traurig und es macht mich auch wahnsinnig wütend! Es kann nicht sein, dass mit medizinisch falschen Informationen wie „Hymen durch Tampon kaputt? Wir helfen!“ geworben wird, oder versprochen wird durch eine Operation ein „normales“ Aussehen von „Schamlippen“ zu bekommen, oder zu behaupten, dass „Vagina-Straffung“ und „G-Punkt spritzen“ eine medizinische Rechtfertigung habe.

Viele Frauen haben einen großen Leidensdruck gerade wenn es um „Schamlippenoperationen“ geht. Ich nehme diese Sorgen und Ängste sehr ernst. Alle Berichte/Dokumentationen, die ich zu diesem Thema gelesen und gesehen habe zeigen mir, dass es sehr oft an Aufklärung mangelt und den Patientinnen auch anders hätte geholfen werden können. In England kam es zu einem von der NHS (National Health Service) dokumentierten Anstieg an Labioplastik bei 9-Jährigen. Wie erklärt man das? Und wie erklärt man, dass eine 13-Jährige in Deutschland an ihrer Vulva operiert werden darf, weil sie sonst (laut dem behandelden Arzt) eine sexuelle Störung bekommen hätte. Das sind Fragen, die mich beschäftigen und die allein mit dem Argument der Selbstbestimmung nicht beantwortet werden können. Ich habe Frauen überhaupt nicht in ihre Entscheidungen reinzureden, aber ich möchte ein Bewusstsein für Alternativen schaffen. Wenn man sich für das Aussehen der eigenen Vulva schämt und sich hässlich findet, sollte man nicht sofort bei den Menschen landen, die damit Geld machen. Vieles geht auch schief: Infektionen, Vernarbungen, Taubheit. Intimchirurg*in kann sich jede*r Ärzt*in nennen und es gibt keine Operationsstandards. Die ganze Branche gibt es erst seit den 2000er Jahren und vieles hängt zusammen mit „Idealbildern“ aus Pornos. Aber was ist das Ideal? Eine Vulva eines vorpubertären Mädchens ohne sichtbare innere Vulvalippen. Darüber müssen wir reden.

Sucht man „Schamlippenkorrektur“ bei Youtube findet man dieses Video, das über 294.000 Aufrufe hat: „Schamlippenkorrektur Erfahrungsbericht: OP-Tag der Intim-Operation, innere Schamlippen verkleinern“ Das Video hat mich stutzig gemacht. Nicht nur, dass hier offensichtlich Werbung gemacht wird, sondern auch wie hier Werbung gemacht wird. Wer ist diese junge Frau? Eine Patientin? Eine Schauspielerin? Als Zuschauer*in bekommt man das Gefühl mit in den OP genommen zu werden. Echt oder ein Fake?

Auf Instagram kommt es unter einem Post von @pia_profamilia zu einer interessanten Diskussion mit Dr. Günther. Was so eine „Schamlippenkorrektur“ kostet beantwortet er fachmännisch in einem Interview: „Irgendwo zwischen 1.700 und 400.000 Euro ist alles möglich.“ (3:35) Zitat von Dr. Günther aus dem Video: „Schamlippenkorrektur 10 Fragen an Dr. Stephan Günther MOOCI

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Quelle: Instagram Post @pia_profamilia (28.06.2019)

Es folgt ein spannendes Gespräch auf der öffentlichen Instagram Seite von @pia_profamilia über das sogenannte Jungfernhäutchen, über „Hymenrekonstruktionen“, über Milchmädchenrechnungen und warum man (nur ne Meinung) einfach mal die Klappe halten soll:

dr.guenther_aesthetix @jorindeundjoringelundsoweiter

Wenn man keine Ahnung hat (nur ne Meinung) einfach mal Klappe halten 😉

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Über was möchten Sie diskutieren? Das Video oder Beleidigungen?

dr.guenther_aesthetix @jorindeundjoringelundsoweiter

Gerne über falsche Beschuldigungen?!

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Sehr gerne! Ist es falsch, dass Lisa (Ihre Praxisangestellt) im Youtube Video „Schamlippenkorrektur Erfahrungsbericht“ vom 20.06.2018 eine Patientin spielt?

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Quelle: Instagram Account @dr.guenther_aesthetix

dr.guenther_aesthetix @jorindeundjoringelundsoweiter

Sie spielt nicht, sie ist tatsächlich eine Patientin, die die Op gemacht hat. Dass sie auch bei mir arbeitet hat niemand bestritten.

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Quelle: Instagram Acount @jorindeundjoringelundsoweiter

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Tolle Art der Werbung! Total authentisch! Das konnte ich natürlich nicht wissen. Es sieht einfach sehr schlecht geschauspielert aus. Sie operieren also Ihre eigenen Praxisangestellten?

dr.guenther_aesthetix @jorindeundjoringelundsoweiter

Schon gut, aber erst mal was unterstellen, gell? Ich operiere Frauen, die das benötigen … und ob sie das benötigen entscheiden Frauen selbst, sonst keiner. Dabei ist es total egal, ob sie bei mir arbeiten oder nicht 🙂

👍

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Na dann ist ja gut.

dr.guenther_aesthetix @jorindeundjoringelundsoweiter

Übrigens zu Ihrem Jungfernhäutchen-Mythos: Wir kennen einige Damen, die getötet wurden, weil sie in der Hochzeitsnacht nicht geblutet haben. Vielleicht sollten Sie Ihren Fokus auf die Frauen lenken, die Hilfe benötigen und denen großes Übel droht, statt über die Ärzte aufzuregen, die den Frauen helfen. Selbstverständlich ist das aber auch nicht kostenlos.

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Danke darüber habe ich mir Gedanken gemacht und das Problem nehme ich sehr ernst! Ich weiß nicht, ob Sie die Petition überhaupt gelesen haben und ob Sie Hilfsorganisationen wie Balance e.V. kennen. Ich bin nicht gegen Operationen, wenn Aufklärungsarbeit und psychologische Unterstützung den betroffenen Frauen nicht helfen und sie auf einer op bestehen. Diese Operationen sollen dann im Ausnahmefall aber staatlich finanziert sein und nicht eine zusätzliche finanzielle Belastung für Frauen darstellen.

martazamira @dr.guenther_aesthetix

Also dazu habe ich einige Fragen… woher kennen Sie diese Frauen? Haben Sie sie erst nach ihrem Tod kennengelernt? Davor hätten Sie ihnen ja „helfen“ können, wie sie selbst sagen… wie aber hätte diese Hilfe ausgesehen? Sie hätten sie für viel Geld so operiert, dass eine unnatürliche Reaktion entsteht, wenn sie Sex haben, damit Menschen, die an diese unnatürliche Reaktion glauben, die besagten Frauen nicht töten?! Merke Sie selbst, ne?

dr.guenther_aesthetix @martazamira

Würde Sie persönlich denn eine unnatürliche Reaktion vorziehen oder lieber tot sein? Eine hat sich gegen die OP entschieden, eine andere erschien nicht zum OP-Termin. Von ihrer Schwester erfuhr ich dann, dass sie ins Ausland gebracht wurde und nicht mehr zurück kam …

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Das ist sehr traurig und genau wegen solchen Fällen setze ich mich für mehr Aufklärung zu dem Thema ein. Ich persönlich ziehe medizinische Versorgung vor, die in diesem Härtefall kostenlos ist und vor allem psychologische Unterstützung. Eine Operation alleine ist keine Sicherheit, da die zusammen genähten Schleimhautfalten nicht immer bluten. Möchten Sie medizinische Studien dazu lesen, oder haben Sie sonst noch offene Fragen?

martazamira @dr.guenther_aesthetix

Ich glaube ich würde vorziehen, dass mir ein Außenstehender der jedoch von meiner Lage weiß hilft, indem er mir Menschen und Organisationen an die Hand gibt… wenn für diese Frauen Lebensgefahr besteht finde ich es unglaublich, dass Sie auch noch Geld für Ihre „Hilfe“ verlangen und niemanden informiert haben. Das ist unterlassene Hilfeleistung!

dr.guenther_aesthetix @martazamira

Und schon wieder unqualifizierte Vorwürfe und Unterstellungen … Glauben Sie, dass der Arzt, der die lebensrettende Herz-OP macht, das für umsonst macht? Vielleicht denken Sie zuerst mal nach, bevor Sie sowas absondern!

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Glauben Sie, dass wir eine Krankenversicherung haben in Deutschland? Was hat denn das mit glauben zu tun? Schönheitsoperationen zählen nicht zu Kassenleistungen. „Hymenrekonstruktionen“ sind aber keine Schönheitsoperationen, sondern fallen dadurch, dass es medizinisch keine Rechtfertigung gibt und an Genitalien operiert wird unter die Kategorie weibliche Genitalverstümmelung. Nachdenken hilft.

dr.guenther_aesthetix @jorindeundjoringelundsoweiter

Oh mann, sie arme Seele … Glauben Sie was sie wollen. Keiner Frau ist damit geholfen!

just_another_lost_hippie @dr.guenther_aesthetix

Setzen Sie sich denn dafür ein, dass Hymenalrekonstruktionen Kassenleistungen werden, damit Sie noch leichter Leben retten können? Ich glaube kaum, denn dann dürften Sie die Preise nicht selbst festlegen! Wenn Sie der Wohltäter wären für den Sie sich halten müssten Sie die OP ja zum niedrigst möglichen Preis anbieten, der nur ein geringeres Honorar für Sie selbst zulässt und alle Materialkosten deckt. Tun Sie das?

jorindeundjoringelundsoweiter @just_another_lost_hippie

Danke! Genau das macht (fpz) Balance e.V. Wenn nach einer Beratung und Aufklärung die Betroffene auf einer Operation besteht (körperlich gibt es trotzdem keine Garantie für Blut…) dann wird eine Operation angeboten, deren Kosten den Arbeitsaufwand deckt ohne Profit zu machen.

jorindeundjoringelundsoweiter @hamseeeneananas

Es gibt dazu eine medizinische Studie, die beweist, dass selbst nach einer Operation nur wenige Frauen bluten. Das ist ja immer noch Schleimhaut und Schleimhaut ist flexibel. Was fehlt sind flächendeckende Studien, welche „Hymenrekonstruktionen“ analysieren und auswerten. Fest steht jedoch, dass niemand eine Blutung versprechen kann, deshalb sind diese Operationen auch keine „sichere“ Variante für betroffene Frauen.

just_another_lost_hippie @dr.guenther_aesthetix

Diesen Mythos aufzuklären ist das einzig legitime, Ihre „Hilfe“ sorgt lediglich dafür, dass der Mythos aufrecht erhalten bleibt.

dr.guenther_aesthetix @just_another_lost_hippie

Darüber sollten sie noch mal nachdenken … das ist sehr kurzfristig gedacht. Ihre Milchmädchenrechnung geht aber nicht auf! Die Frauen sind allesamt sehr aufgeklärt, nicht weniger als Sie! Ich habe so das Gefühl, sie haben keinerlei Qualifikation auf dem Gebiet … nur eine Meinung, die sie sich selbst aus ihrem Internetwissen zusammengereimt habe … Schade! Wenn Sie wirklich etwas für diese Menschen tun wollen: Bilden Sie sich selbst erst mal, statt schlaue Phrasen zu dreschen, hinter denen keine Substanz steckt 😉

jorindeundjoringelundsoweiter @dr.guenther_aesthetix

Es ist sehr kurzsichtig gedacht Operationen an Schleimhautfalten als „Rekonstruktion“ zu verkaufen. Es ist sehr kurzsichtig gedacht Frauen nicht über ihre eigene Anatomie aufzuklären (die Zeichnungen, die momentan in der Medizin existieren haben wenig mit der Realität zu tun und zeigen meist anatomische Ausnahmefälle) und vor allem keine Unterstützung anzubieten. Eine Operation ist keine Sicherheit und deshalb brauchen wir Aufklärung und Hilfsangebot und im Härtefall Ärzt*innen die operieren, ohne damit Geld zu machen.

Anmerkung:

Der Austausch mit Herrn Dr. Günther endete mit der Aufforderung ich solle ihm gerne medizinische Studien zum Thema Hymen und „Hymenrekonstruktion“ schicken. Daraufhin wurde ich blockiert. Erst ne große Klappe haben, keine guten Argumente, sexistische Sprüche ablassen und dann blockieren. Nicht mir mir Freundchen, nicht mit mir! Verarschen kann ich mich selber. Ratzupaltuff.