Sei frech und wild und wunderbar!

Kleinkunst9(Foto: © Max Erb)

K-L-I-T-O-R-I-S

Seit Wochen habe ich an nichts anderes gedacht als an die Klitoris und wie man sie in einem Wake-Up-Comedy Format präsentieren kann. Ich schlief mit ihr ein und wachte mit ihr auf, brachte sie in Gesprächen ein und redete mir den Mund fusselig, wenn ich hörte wie Menschen auf dem vaginalen Orgasmus beharren, der sich erübrigt, sobald man die Anatomie und Funktionsweise der Klitoris kennt. Die Klitoris, das geflügelte Einhörnchen aus dem Zizazauberwald!

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(Foto: © Jorinde Wiese) Im Bild: Bestes Tanja-Einhörnchen der Welt! 

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(Foto: © Hanno Müller)

Jorinde Wiese Kleinkunstpreis 2018 Video: Die Klitoris – Das geflügelte Einhörnchen

Mein Wake-Up-Comedy Programm soll aufklären, zum Lachen bringen, unterhalten und dabei zum Nachdenken anregen!

Es ist Zeit…

Warum ich das mache? Ganz einfach, weil es Zeit ist aus dem genitalen Winterschlaf aufzuwachen, Zeit die Anatomiebücher zu ändern, Zeit die Klitoris so selbstverständlich zu kennen wie alle anderen Organe, Zeit endlich mit dem Tabu der weiblichen Lust zu brechen. #FemalePleasure läuft im Kino, weltweit kämpfen Aktivistinnen für die weibliche Sexualität und ihre Freiheit! Auf was warten wir noch?

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(Foto: © Max Erb)

K(l)einkünstler

An der Premiere der Wake-Up-Comedy, also Aufklärungskabarett mit Sensationswert, landete auch folgender Text auf der Bühne, der mit Schwung von einem Klavier Kabarettisten gesungen wurde, welcher mit einem Lächeln auf den Lippen flott reimte:

(Titel: Schnelles Liebeslied – von Florian Wagner)

„Das ist ein schnelles Liebeslied, nicht so langsam wie die andern.

Ein schnelles Liebeslied und lässt du mich nicht ran dann,

singe ich so lang bis du nicht mehr so rumzickst und endlich mit mir… (fickst) tanzt.

Bist ne super süße Maus und jetzt zieh dich endlich aus.

Und lässt du mich nicht ran, dann singe ich so lang,

dass du heute nicht mehr schläfst und mir endlich einen… (bläst) Tanz beibringst.“

Spinn ich?

Hinter der Bühne sage ich fassungslos „Das hat er nicht gesagt.“, als ich den letzten Reim höre und muss schlucken. Doch. Hat er. Die Frage ist ob es jemand gehört hat und die viel größere Frage ist, ob es jemand verstanden hat! Offensichtlich nicht, denn der Pianist gewinnt den ersten Preis. Seine bewundernswerte Klavier- und Gesangskunst sei mal hinten angestellt, für diese Zeilen hat man keinen Preis der Welt verdient und mag man noch so schön Klavier spielen.

(F)Keine Ironie?!

Auch das Publikum votierte mehrheitlich für den Musikkabarettisten, der (…) durch Originalität der Liedtexte und feine Ironie gefiel.“ (Badische Zeitung, 15. November 2018, S. 12) IRONIE? Wie soll man das bitte verstehen?

Franziska hat das Programm nach unserem gemeinsamen Auftritt in der ersten Reihe live miterlebt und schreibt: „Was mich wirklich schockiert hat war, dass er gewonnen hat und zwar beides!! Den Preis der Uni und den Preis des Publikums!“ Offensichtlich gab es sehr wohl Leute im Publikum, die genau hinhören und die mit dieser „feinen Ironie“ nicht klar kommen wollen.

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(Foto: © Max Erb) im Bild: Franziska Fischer, Drummerin des Abends 

Es hat mich geschockt zu sehen welche unreflektierte Meinung in den Köpfen der Leute steckt, selbst nach einem Vortrag wie deinem. Im Publikum waren viele, vor allem junge Menschen, junge Studenten und vor allem StudentINNEN, die das gehört haben und das witzig fanden. Denen im Laufe ihres Lebens beigebracht wurde, dass Comedy unter der Gürtellinie gegen Frauen witzig ist. Dass das in unserer Generation, die vom Feminismus der letzten Jahrhunderte profitiert, immer noch witzig ist, als originelle Comedy empfunden wird und wohl würdig genug ist auf Platz 1 gewählt zu werden. Ich glaube nicht, dass er dort wegen seines musikalischen Talents gelandet ist, auch wenn das vielleicht gut war. Es ist so wichtig, dass es Menschen wie dich gibt, die mit ihren Auftritten die Leute dazu anregen, ihre Meinung, ihre Einstellung zu hinterfragen und zu reflektieren! Auch wenn das, wie beim Freiburger Kleinkunstpreis vielleicht nicht ganz funktioniert hat. Und dann ist da die Uni, die ihren Preis an Florian Wagner vergibt… die Uni, die doch ein Ort für Weltoffenheit und fortschrittliches Denken sein soll… Diese Uni vergibt ihren Preis an Florian Wagner. Völlig unreflektiert fördert sie die Unreflektiertheit in den Köpfen der Leute, die im Publikum sitzen.“ (Franziska Fischer)

Mimimi?

Von offizieller Seite höre ich, dass wir an diesem Abend nur einen Punkt auseinander lagen und dass sich die Jury sehr schwer getan hat mit der Entscheidung. Mir wird wiederholt zum zweiten Platz gratuliert. Vielleicht wirkt es so, als ob ich mit meiner Kritik nur im Nachhinein den ersten Preis ergattern möchte. Es geht aber um viel mehr als um irgendeinen Preis! Ich hätte sehr gerne den Trostpreis in Empfang genommen, wenn die anderen Teilnehmer/innen überragend gewesen wären. Ich hätte gerne gegen Hazel Brugger, Bodo Wartke und andere Künstler verloren und danach einen Schnack mit ihnen gehalten. Es ist nicht so, dass ich nicht verlieren kann. Mit all meiner Kritik will ich ein Zeichen setzen: Schaut genau hin und vor allem hört genau hin! Nicht alles was in lustige Reime verpackt ist kann als Kunst zählen. Ich finde es absurd, dass man so einen Text überhaupt mit einem Lächeln singen kann und dass man dafür nicht hochkant von der Bühne geschmissen wird.

Verherrlichung der Vergewaltigung

What the fuck? Hat der das echt gesungen? Das ist doch Verherrlichung der Vergewaltigung.“, schreibt mir eine Freundin und ich will es genau wissen. Deshalb frage ich bei einer weiteren Freundin nach was sie von den Zeilen hält.

Marta, 11. Klasse schreibt:

Als ich heute morgen dank einer Freistunde erst um halb neun aufwachte, stellte ich erstmal, gut ausgeschlafen, mein Handy an und den Flugmodus aus.

Ich hatte drei neue Nachrichten von meiner Freundin Jorinde. „Liebe Marta“, schrieb sie mir, „Was denkst du, wenn du so etwas liest/hörst?“ Sie meinte damit die Liedzeilen von Florian Wagner:

Das ist ein schnelles Liebeslied, nicht so langsam wie die andern. Ein schnelles Liebeslied und lässt du mich nicht ran dann, singe ich so lang bis du nicht mehr so rumzickst und endlich mit mir… (fickst) tanzt. Bist ne super süße Maus und jetzt zieh dich endlich aus. Und lässt du mich nicht ran, dann singe ich so lang, dass du heute nicht mehr schläfst und mir endlich einen… (bläst) Tanz beibringst.

Ich las den Text einmal. Dann nahm legte ich mein Handy beiseite, trank einen Schluck Wasser und las ihn ein zweites Mal. Ich wollte sicherstellen, mich nicht verlesen zu haben. Las ich da etwas falsch, oder wurde in dem Text eine Vergewaltigung verherrlicht? Ehrlich gesagt war ich erstmal sehr verwirrt.

Besonders die Worte „[…] und lässt du mich nicht ran dann, singe ich so lang bis du nicht mehr so rumzickst.“ und „Bist ne super süße Maus und jetzt zieh dich endlich aus.“ trafen mich. Wann wurde dieser Text verfasst? Doch wohl nicht im 21. Jahrhundert? Und wer hatte ihn geschrieben? Obwohl sich dieser Text toll reimt, kamen in mir ernsthafte Zweifel auf, ob er wirklich von Jorinde geschrieben wurde, oder ob sie ihn extra so komisch geschrieben hatte.

Der Text passt eher zu einem aggressiven, egoistischen, selbstverliebtem Mann aus dem Mittelalter, als zu dir!“ schrieb ich ihr. Es stellte sich heraus, dass der Text natürlich nicht von Jorinde war. Das war die gute Nachricht, wenn man sie denn als gute Nachricht und nicht als Selbstverständlichkeit bezeichnen möchte.

Schlechte Nachrichten gab es auch.

Der Text war nämlich tatsächlich in diesem Jahrhundert verfasst worden. Und nicht nur das: Der Verfasser war nicht etwa Donald Trump, oder eine ähnliche Person, die dafür auch von der Öffentlichkeit missachtet würde. Nein, der Verfasser war ein deutscher Student. Ein junger Mensch, der eine deutsche Schul- und Universitätsbildung genossen hatte und den Großteil seines Lebens im 21. Jahrhundert gelebt hatte. Und der schrieb sowas. Und nein, das war natürlich noch nicht genug der schlechten Nachrichten:

Der Verfasser hat diesen Text anscheinend munter auf einer Bühne für einen „Kleinkunstpreis“ vor Publikum gesungen. Dafür wurde er nicht etwa des Hauses verwiesen, sondern gewann den ersten Preis.

Was heute morgen Benommenheit war, ist jetzt Wut.

Wie kann ein Mensch in Deutschland mit so etwas durchkommen? Und vor allem: Wie kann er bei einem KLEINKUNSTPREIS mit so etwas durchkommen?

Was für eine Art von Zeichen wollte die Jury setzen, als sie einen Studenten, der mit Texten wie „Bist ne super süße Maus und jetzt zieh dich endlich aus“ brillierte, mit dem ersten Platz auszeichnete?

Und wie kann es sein, dass ich tatsächlich diesen Artikel schreiben muss, weil eine große Mehrheit des Publikums offensichtlich nicht gemerkt hat, dass so etwas nicht „normaler Sexismus“, sondern die Beschreibung einer Vergewaltigung ist!

Auf all diese Fragen habe ich zum Glück keine Antwort. Es gibt nämlich auch keine. Der Text ist Mist und die Jury hat Mist gebaut. Punkt.