Foto: SWFR Freiburg
November 2018: Der Freiburger Kleinkunstpreis für Studierende
„Nach der Show können Sie unsere Künstler noch anfassen.“, witzelt der Moderater. „Mich nicht.“, rufe ich laut dazwischen. „Na gut aber wenigstens berühren.“, schiebt er hinterher. „Jetzt machen die Künstler noch ein Bühnenselfie.“, sagt er und will ein Foto von uns machen. „Das ist dann aber kein Selfie.“, sage ich. Mir ist zu dem Zeitpunkt schlecht vor Wut. Ich nehme ihm sein Handy aus der Hand und mache das Selfie mit den Künstlern des Abends. Man sieht mir nichts an. Wie auch?
K(l)einkünstler
An diesem Abend hat die Wake-Up-Comedy, also Aufklärungskabarett mit Sensationswert Premiere gefeiert. Wie das so war ist hier zu lesen „Schämt ihr euch nicht?“ Am selben Abend landete auch folgender Text auf der Bühne, der mit Schwung von einem Klavier Kabarettisten gesungen wurde, welcher mit einem Lächeln auf den Lippen flott reimte:
(Titel: Schnelles Liebeslied – von Florian Wagner)
„Das ist ein schnelles Liebeslied, nicht so langsam wie die andern.
Ein schnelles Liebeslied und lässt du mich nicht ran dann,
singe ich so lang bis du nicht mehr so rumzickst und endlich mit mir… (fickst) tanzt.
Bist ne super süße Maus und jetzt zieh dich endlich aus.
Und lässt du mich nicht ran, dann singe ich so lang,
dass du heute nicht mehr schläfst und mir endlich einen… (bläst) Tanz beibringst.“
Spinn ich?
Hinter der Bühne sage ich fassungslos „Das hat er nicht gesagt.“, als ich den letzten Reim höre und muss schlucken. Doch. Hat er. Die Frage ist ob es jemand gehört hat und die viel größere Frage ist, ob es jemand verstanden hat! Offensichtlich nicht, denn der Pianist gewinnt den ersten Preis. Seine bewundernswerte Klavier- und Gesangskunst sei mal hinten angestellt, für diese Zeilen hat man keinen Preis der Welt verdient und mag man noch so schön Klavier spielen.
(F)Keine Ironie?!
„Auch das Publikum votierte mehrheitlich für den Musikkabarettisten, der (…) durch Originalität der Liedtexte und feine Ironie gefiel.“ (Badische Zeitung, 15. November 2018, S. 12) IRONIE? Wie soll man das bitte verstehen?
Franziska hat das Programm nach unserem gemeinsamen Auftritt in der ersten Reihe live miterlebt und schreibt: „Was mich wirklich schockiert hat war, dass er gewonnen hat und zwar beides!! Den Preis der Uni und den Preis des Publikums!“ Offensichtlich gab es sehr wohl Leute im Publikum, die genau hinhören und die mit dieser „feinen Ironie“ nicht klar kommen wollen.
(Foto: © Max Erb) im Bild: Franziska Fischer, Drummerin des Abends
„Es hat mich geschockt zu sehen welche unreflektierte Meinung in den Köpfen der Leute steckt, selbst nach einem Vortrag wie deinem. Im Publikum waren viele, vor allem junge Menschen, junge Studenten und vor allem StudentINNEN, die das gehört haben und das witzig fanden. Denen im Laufe ihres Lebens beigebracht wurde, dass Comedy unter der Gürtellinie gegen Frauen witzig ist. Dass das in unserer Generation, die vom Feminismus der letzten Jahrhunderte profitiert, immer noch witzig ist, als originelle Comedy empfunden wird und wohl würdig genug ist auf Platz 1 gewählt zu werden. Ich glaube nicht, dass er dort wegen seines musikalischen Talents gelandet ist, auch wenn das vielleicht gut war. Es ist so wichtig, dass es Menschen wie dich gibt, die mit ihren Auftritten die Leute dazu anregen, ihre Meinung, ihre Einstellung zu hinterfragen und zu reflektieren! Auch wenn das, wie beim Freiburger Kleinkunstpreis vielleicht nicht ganz funktioniert hat. Und dann ist da die Uni, die ihren Preis an Florian Wagner vergibt… die Uni, die doch ein Ort für Weltoffenheit und fortschrittliches Denken sein soll… Diese Uni vergibt ihren Preis an Florian Wagner. Völlig unreflektiert fördert sie die Unreflektiertheit in den Köpfen der Leute, die im Publikum sitzen.“ (Franziska Fischer)
Ich habe Florian Wagner eine Nachricht geschrieben, weil ich mittlerweile verstanden habe was mich an dem Abend so wütend gemacht hat.
20.08.2019
Lieber Florian,
Heute war viel los, ich komme gerade erst dazu dir zu schreiben. Ich kann dir erst Zugang zu meinem Instagram Profil geben, wenn ich das Gefühl habe, dass du offen bist für Kritik und dass du Empathie besitzt. Falls nicht, dann ist das auch ok. Wir kennen uns ja nicht. Ich möchte dich nicht angreifen, oder fertig machen… darum geht es mir nicht.
Ich wollte dich fragen, ob du mal darüber nachgedacht hast, dass dein schnelles Liebeslied insbesondere diese Liedzeilen bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt Traumaerinnerungen auslösen können?
„Das ist ein schnelles Liebeslied, nicht so langsam wie die andern. Ein schnelles Liebeslied und lässt du mich nicht ran, dann singe ich so lang bis du nicht mehr so rumzickst und endlich mit mir (fickst) tanzt.
Bist ne super süße Maus und jetzt zieh dich endlich aus. Und lässt du mich nicht ran, dann singe ich so lang, dass du heute nicht mehr schläfst und mir endlich einen (bläst) Tanz beibringst.“
Vielleicht bin ich die erste, die dir das schreibt. Vielleicht schüttelst du nur den Kopf und denkst: Mann hat die keinen Humor? Das war ironisch gemeint.
Dafür wurdest du ja auch in der Badischen Zeitung gelobt, für deine „feine Ironie“. Kannst du sie mir erklären? Wo ist die feine Ironie, wenn sich die Frau im Lied ausziehen soll, endlich aufhören rumzuzicken und anfangen soll dich zu ficken und dir einen blasen äh Tanz beibringen soll.
Ist ja nur ein Lied. Ist ja nur ein Reim? Ja. Aber ehrlich muss das sein? Kannst du nicht auch ganz anders? Hast du es nötig frauenverachtenden Humor auf die Bühne zu bringen? Findest du es vielleicht selber wirklich lustig?
Der tiefer liegende Grund, warum ich beim Freiburger Kleinkunstpreis so wütend war, war nicht, dass du den ersten Preis bekommen hast und auch nicht (nur) dass die Chancen sehr ungleich verteilt waren. Du als Profi Musiker mit fertigem Bühnenprogramm, ich als völlige Newcomerin ohne jede Bühnenerfahrung in der Comedy. Ich war nicht wütend, weil du besser warst. Ich war wütend, weil ich nicht verstanden habe, warum es ok ist über solche Witze, wie du sie auf die Bühne bringst, zu lachen. Warum dir nicht nur eine Bühne dafür geboten wurde, sondern auch noch erste Preis.
Deine Pointe in deinem Lied ist meine Geschichte. „Zieh dich aus. Lass mich ran. Blas mir einen.“ Ich habe das erlebt und es hat mich getriggert. Sehr sogar. Kannst du dir das vorstellen? Hast du mal mit betroffenen Menschen von sexualisierter Gewalt in deinem Umfeld geredet?
Ist dir klar, dass du mit deinem Lied zur rape culture in Deutschland beiträgst? Warum ist es ok darüber Witze zu machen Frauen zu ficken und sich einen blasen zu lassen? Warum muss das sein? Wieso nutzt du dein Talent nicht anders?
Hast du eine Antwort auf meine vielen Fragen? Ich hoffe, dass du meine Fragen und die Situation Betroffener ernst nimmst.
Seine Antwort war sehr kurz: (NICHTS)
Übrigens kann man Klavierkabarett, sogar mit der Pointe „I love boobs though“ machen und dabei sogar lustig sein. Es geht, wenn Mann es wirklich will.
Was würdest du Florian sagen wollen?
@leukoplasthea „Gib den nächsten Text mindestens 10 betroffenen Personen und beharre auf ehrliches Feedback. Ach ja. BEVOR du es zum ersten Mal öffentlich vorträgst!! PS: Nimm dir die Kritik zu Herzen. Sei nicht wie Truefruits.“
@nin_aalex „Wenn es eine Antwort gibt, wäre es schön. Sexualisierte Gewalt kann hart sein, Witze darüber gehören sich nicht. Auch nicht auf einer Bühne. Und auch nicht unter dem Deckmantel der „Ironie“, Gewalt bleibt Gewalt.“
@hamseeeneananas „Vor allem reduziert sich ein Künstler damit doch selbst. Ich behaupte, die meisten 16-Jährigen sind in der Lage, ein derart „feines“ Stück der Lyrik auf dem Pausenhof zu texten. Solange Sexisten Publikum bekommen, bringt es nichts sie zu ignorieren. Sprache ist ein Starkes Instrument und wird bei der Bildung von Werten definitiv unterschätzt – finde ich. Viele Leute lassen sich leider noch nicht darauf ein, wir können trotzdem versuchen das zu ändern.“
@lilith_morgaine „Ich verstehe auch nicht was daran lustig ist. Bzw dass einem nicht selber peinlich ist solche Aussagen zu machen… also, du nervst praktisch die Frauen so lange mit deinem Gesang, bis sie dir einen blasen damit sie ihre Ruhe haben??? Das ist die Art der sexuellen Begegnung die du wählst? Hm. Mich macht es traurig und wütend, dass die Zuständigkeit so verdreht ist. Wieso sollte es zwangsläufig von Interesse für eine Frau sein dein Würstchen im Mund zu haben? Kannst du dir nicht vorstellen, dass es Frauen gibt die da nicht so scharf drauf sind? Die nicht „rumzicken“ sondern einfach kein Interesse daran oder an dir haben? Verkraftet das dein Ego nicht? Oder interessiert es sich nicht? Es ist dein Penis und erstmal nur deine Aufgabe dich um den zu kümmern und nicht die generelle Aufgabe der Frau dir da Befriedigung zu verschaffen. Es könnte tatsächlich leicht witzig sein, im Sinne von Belustigung über diesen „verwöhnten verzogenen Bengel“ wenn es nicht tatsächlich so viele Männer gäbe, die genau so ein Verhalten ständig an den Tag legen. Von Rumnerven, Betteln, Drängeln, unter Druck setzen, bis hin zu körperlichen Gewalttaten, die au solchem Denken entspringen.“
(Kleine Anmerkung: Ich stimme dir total zu… nur dass er das natürlich in einem Lied besingt. Trotzdem ist es absolut daneben und hoffentlich nicht inspiriert vom echten Leben!)
Bodo Wartke besingt in seinem Lied das Land in dem er leben will. In diesem Land gibt es sicher keine Trueshit Smoothies und keine schnellen Liebeslieder.
Es muss so schön sein dort!
„Bodo Wartke – Das Land, in dem ich leben will“ 12.09.2017
Was sagen eigentlich dir Veranstalter*innen zu diesem K(l)einkünstler?! Ich habe viele Mails erhalten, manche waren weniger schön. Das hier ist die „offizielle“ Stellungnahme:
„Liebe Jorinde Wiese,
Ihre Meinung und Kritik zu sexistischen Witzen, sexistischen Anspielungen in der Moderation und in künstlerischen Darbietungen beim Kleinkunstpreis ist bei uns angekommen und wir werden sicher in unserer Runde nochmals über dieses Thema diskutieren.
Vorangestellt: auch wir heißen Gewalt gegen Frauen, sei diese verbal oder körperlich für nicht gut.
Trotzdem kommt uns Ihre immer wieder negative Anspielung auf den Preisträger wie ein kleines „nachtreten“ vor. „Für den werten Herrn in Unterhosen – leicht verdientes Geld, K(l)einkünstler, fertiges Programm vom letzten Jahr, Text vom Bruder geschrieben, tourt ja schon …
(ANMERKUNG: Spannend wieso ist ein Darlegen der Fakten ein „nachtreten“???)
Fakt ist, diese Veranstaltung ist ausgeschrieben für Studierende (mit Altersbegrenzung) und ist ein Wettbewerb (nicht im Charakter einer offenen Bühne). Man bewirbt sich schon mit einer ersten Präsentation, wird angenommen oder auch nicht, stellt sich am Abend der Jury und dem Publikum und gewinnt – oder eben auch nicht.
Die Jury setzt sich aus ExpertInnen verschiedenster Kulturmenschen zusammen und hat ihre klaren Linien zur Bewertung der Beiträge – dazu kommen 5 verschiedene Kunstgeschmäcker. (Sicher, da geht es manchmal auch heiß her, gibt es unterschiedliche Meinungen und es wird verhandelt – letztendlich sich aber dann auch entschieden für einen ersten, zweiten und dritten Platz) Das Publikum entscheidet dann zusätzlich unabhängig von der Jury, welche erst kurz vor ihrem Tritt auf die Bühne das Ergebnis der Publikumsentscheidung erfährt.
Etwas anmaßend fanden wir deshalb auch ihre erste Meinung, dass ein Mann in der Jury das Sagen über 4 weibliche Jurymitglieder hat – das ist aus unserer Sicht auch ein kleiner versteckter „Sexismus“.
(ANMERKUNG: Das war meine einzige logische Erklärung für diese Juryentscheidung. Ich habe mich sofort entschuldigt, als klar war, dass ich total falsch lag.)
Freuen Sie sich doch ganz einfach über ihren zweiten Platz!
Und noch eine kleine Anmerkung: Ihre Musik wurde auch von jemand anders komponiert und wenn Sie es als künstlerisch notwendig und dramaturgisch wichtig empfunden hätten in Unterwäsche ihr Stück zu präsentieren – wäre das sicher in Ordnung gewesen, hätte kein Aufschreien im Publikum bewirkt – wäre aber auch keine Garantie auf einen sicheren ersten Platz gewesen.“
DANKE.
In dieser Antwort wird nicht auf die wesentlichen Punkte eingegangen, oder habe ich da etwas falsch verstanden? Und dann noch dieser Quark am Ende: „In Unterwäsche Ihr Stück zu präsentieren wäre auch keine Garantie für einen sicheren ersten Platz gewesen.“ BÄH.